Spurensuche in Verona und Ravenna
Die Friedberger Stadtpfarrei besuchte im Jubiläumsjahr die Vorbildkirchen für St. Jakob und machte dabei erstaunliche Entdeckungen
Vor 150 Jahren bauten die Friedberger ihre Stadtpfarrkirche St. Jakob neu auf, nachdem die Vorgängerkirche durch den einstürzenden Kirchturm 1868 zerstört wurde. Der Entwurf für die neue Kirche stammte von dem Architekten und späteren königlichen Oberbaurat Karl Bernatz. In Friedberg bot sich ihm die Gelegenheit, seine während einer längeren Studienreise durch Italien gesammelten Eindrücke umzusetzen. Er entwarf eine für das Wittelsbacher Land völlig unübliche dreischiffige Säulenbasilika im italienisch-romanischen Stil, die bereits damals überregional für Aufsehen sorgte. Die äußere Erscheinung bildete er, so ist es überliefert, der ehemaligen Abteikirche San Zeno Maggiore in Verona nach, für die Innengestaltung ließ er sich von der Basilika Sant’Apollinare in Classe in Ravenna inspirieren.
Am Ostermontag machten sich 50 Mitglieder der Friedberger Stadtpfarrei im Rahmen des Jubiläumsjahres „150 Jahre neue Stadtpfarrkirche“ gemeinsam mit ihrem Stadtpfarrer Steffen Brühl und Armin Rabl, der die historische Begleitung der Gruppe übernommen hatte, auf den Weg, um die Beispielbauten für St. Jakob zu besuchen. Nicht abzusehen war, dass die Gruppe mit überraschenden Erkenntnissen im Gepäck am Ende der fünftägigen Jubiläumsfahrt wieder nach Friedberg zurückkehren sollte.
Auf dem Weg nach Verona hielt die Reisegruppe zunächst in der Friedberger Partnergemeinde Völs am Schlern in Südtirol an. In diesem Jahr 2024 feiern beide Kommunen ihre 65-jährige Partnerschaft. Dieser gedachte man auch im Gottesdienst in der Pfarrkirche der Erzpfarrei Mariä Himmelfahrt, an dem neben dem Vorsitzenden des Völser Partnerschaftskomitees Gregor Kompatscher auch die ehemalige zweite Bürgermeisterin von Völs Maria Kritzinger Nössing und der stellvertretende Landrat des Wittelsbacher Landes Manfred Losinger mit seiner Frau Brigitte teilnahmen.
In Verona angekommen, sollte sich die Friedberger Reisegruppe mit der historischen Entwicklung der Stadt an der Etsch vertraut machen und den frühchristlichen Zeugnissen nachgehen. Natürlich durfte auch ein Abstecher zum berühmten Balkon der Julia nicht fehlen, siedelte William Shakespeare doch seine weltberühmte fiktive Liebestragödie „Romeo und Julia“ in Verona an. Höhepunkt des Besuchs in der venetischen Stadt bildete dann die Basilika San Zeno Maggiore. Unverkennbar griff Bernatz bei seiner Gestaltung der Außenfassade der Friedberger Stadtpfarrkirche auf diese Basilika zurück. Das große Rosettenfenster (das in Friedberg ursprünglich auch ein Fenster war, bis es zugemauert wurde), der vorgelagerte Narthex, ein kleiner Säulenvorbau vor dem Eingang, und natürlich der klassische dreischiffige basikale Aufbau des Kirchengebäudes sprechen dafür. Auch die typische zweifarbige Bänderung, die St. Jakob so besonders macht, fanden die Reisenden aus Friedberg an San Zeno, aber auch an vielen anderen historischen Gebäuden der Stadt, wieder. In Verona entsteht dieses Muster in der Regel aus dem Wechsel von gelblichem Tuffstein und roten Backsteinen. Etwas anderes fiel den Friedbergern auch sofort auf. Der Campanile von San Zeno hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem Friedberger Kirchturm. Beim Rundgang durch die Stadt bemerkten die Reiseteilnehmer aber, dass mit ziemlicher Sicherheit der Turm einer anderen Veroneser Kirche für Friedberg Modell gestanden haben muss. Der Kirchturm der Kirche Sant’Anastasia gleicht dem Friedberger unübersehbar. So müssen jetzt die Kirchenführer der Stadtpfarrkirche umgeschrieben werden, denn diese Entdeckung sollte doch Erwähnung finden.
Über Bologna, der ältesten Universitätsstadt Europas mit ihren bezaubernden Gassen und Arkaden sowie der wechselhaften Geschichte, ging es weiter nach Ravenna. Hier tauchte die Reisegruppe tief in die germanisch-römisch-italienische Geschichte ein und besuchte das Grabmal Theoderichs des Großen und das Mausoleum der Galla Placidia sowie die Basilika des heiligen Vitalis. Für die Friedberger Spurensuche erwies sich aber eine andere Kirche in Ravenna als wesentlich aufschlussreicher. Die Innengestaltung der Basilika San Francesco, die um das Jahr 1000 ihre jetzige Gestalt bekam, erinnert so stark an die heutige Jakobskirche, dass einige der Friedberger Reisenden diese Kirche „unsere ältere Schwester“ nannten. Die Schlichtheit des Raumes, die dreischiffige, durch Säulenreihen getrennte Anordnung mit unterschiedlichen Deckenhöhen, der erhöhte Chorraum und die östliche Apsis finden sich in beiden Kirchen wieder. Wer San Francesco in Ravenna betritt, fühlt sich als Friedberger sofort zuhause.
Um die Basilika Sant’Apollinare in Classe zu besuchen, musste zunächst eine Strecke mit dem Bus zurückgelegt werden. Die Bezeichnung „Classe“ gibt bereits den Hinweis, dass diese Kirche eher Richtung Meer zu suchen ist, denn mit „Classe“ war die römische Flotte gemeint, die zur Erbauungszeit der Basilika im 6. Jahrhundert dort stationiert war. Damals reichte die Adria noch bis vor die Tore Ravennas.
Karl Bernatz nahm an dieser etwas außerhalb gelegenen, prächtigen und beeindruckenden frühchristlichen Kirche Modell für das stimmige Innere von St. Jakob. Wie die Friedberger Schwester, besteht die Basilika Sant‘ Apollinare aus drei Schiffen, die durch zwei Säulenreihen voneinander getrennt sind. Die langgestreckte Kirche ist – wie in der Spätantike üblich – nicht gewölbt, sondern mit einem hölzernen Dachstuhl gedeckt. Die ursprüngliche Kassettendecke ist hier nicht mehr erhalten, anders als in Friedberg. Der Chorraum beider Kirchen ist jeweils über eine breite Treppe zu erreichen. Während in Sant‘ Apollinare die bildlichen Darstellungen als Mosaike ausgeführt wurden, fertigte der Künstler und Kirchenmaler Ferdinand Wagner für die Friedberger Stadtpfarrkirche Fresken an. Auch die Motive gleichen sich nicht, obwohl in beiden Kirchen der jeweilige Stadtpatron hervorgehoben wird. Während der große Triumpfbogen des Giebels in Sant‘ Apollinare in der Mitte ein Medallion mit dem Bild Christi zeigt, hatte Friedberg dort ursprünglich ein Medallion, das Gott Vater darstellte. Dieses wurde aber in der bilderstürmerischen Renovierung der 1950er Jahre entfernt.
Die Friedberger Reisenden waren spürbar beeindruckt von diesem Zeugnis frühchristlicher Baukunst in Ravenna und den offensichtlichen Parallelen zur Friedberger Kirche.
Nach fünf Tagen intensiven Studierens von Geschichte, Architektur, Kunst und Glaubenszusammenhängen, machte sich die Friedberger Reisegruppe mit einem Zwischendstopp in Bozen auf den Weg zurück ins Wittelsbacher Land. Die Teilnehmenden drückten immer wieder aus, wie bereichert sie sich fühlten durch die tragende Gemeinschaft dieser Tage, durch die lebhaften Gottesdienste, die sie in den historischen Kirchen feiern konnten, durch das sonnig-warme Wetter, die mediterrane Atmosphäre, die vielen ganz unterschiedlichen Eindrücken, die sie auf der Reise sammeln konnten, und auch besonders durch die neuen Erkenntnisse, die diese Fahrt brachten: zum einen, dass der Turm der Stadtpfarrkirche eher Sant‘ Anastasia nachempfunden wurde, zum anderen, dass San Francesco für die architektonische Innengestaltung von St. Jakob Beispiel gebend gewesen sein musste, während Sant’Apollinare in Classe für die künstlerische Ausgestaltung die Anregungen lieferte, was unschwer zu erkennen ist.
So trägt die Friedberger Stadtpfarrkirche gleich das Andenken an vier historisch und künstlerisch bedeutende oberitalienische Kirchen in sich, die alle ihre Wurzeln in der Anfangszeit des Christentum in unseren Breiten haben. Karl Bernatz und die Friedberger schlugen vor 150 Jahren beim Neubau ihrer Kirche einen großen Bogen bis in die frühchristliche Zeit und brachten etwas italienisches Flair mitten ins altbairische Land.
In den alten Aufzeichnungen trug die Stadtpfarrkirche St. Jakob auch die Bezeichnung „Basilika“, die im Laufe der Jahrzehnte aber verloren gegangen ist. Die Teilnehmenden der Jubiläumsfahrt konnten sich ein gutes Bild davon machen, dass es sich bei dem Baustil der Stadtpfarrkirche wirklich um eine klassische, wenn auch neuerbaute, Basilika handelt, die eine solche Bezeichnung also zu recht trägt. Vor allem, weil sie auch ein wirklich schönes Exemplar ist. Sie verdient das Lob des Kunsthistorikers Hyacinth Holland, der 1902 über die Basilika St. Jakob schrieb: Sie sei „ein ganz originelles, im italienisch-romanischen Stile gehaltenes, vielgerühmtes Kunstwerk, welches Ferdinand Wagner mit seinem berühmt gewordenen Freskencyclus schmückte.“
Basilika San Zeno Maggiore in Verona, die das Vorbild für die Außenfassade der Stadtpfarrkirche war, auch mit dem Rosettenfenster, der Narthizes, der Giebelform und der zweifarbigen Bänderung.
Basilika San Francesco in Ravenna, die das Modell für die Innenraumarchitektur von St. Jakob gewesen sein könnte.
Ein Beispiel (hier die Kathedrale) für die vielfach in der Altstadt anzutreffende Bänderung an historischen Gebäuden. Der gelbliche Tuffstein wechselt sich mit roten Backsteinen ab.
Basilika Sant‘Apollinare in Classse/Ravenna, von der die Anregungen zur künstlerischen Ausgestaltung der Stadtpfarrkirche genommen wurden
Die 50 Teilnehmenden der Gemeindefahrt im Jubiläumsjahr auf dem Spuren der Vorbildkirchen unserer Stadtpfarrkirche St. Jakob in Verona und Ravenna.
Das Foto wurde vor dem Chorraum/ der Apsis in der Basilika Sant’Apollinare in Classe aufgenommen.